top of page

Freiraum

Schloss Hamborn in Ostwestfalen, schon besiedelt vor 1000 Jahren, an einem kleinen mäandernden Fluss gelegen, ein bewaldet hügeliges Gelände: Im 19. Jahrhundert zwei Güter, die von der Familie Droste von Hülshoff zu einem großen Gut zusammengefasst und mit einem Schloss versehen wurden. Das brannte ab, wurde wieder aufgebaut und von zwei Männern 1931 auf der Suche nach einem größeren Objekt für ihr heilpädagogisches Konzept entdeckt und tatsächlich erworben. Eine kurze Zeit während des Nationalsozialismus, 1941,war das philosophische Menschenbild, die Anthroposophie, nicht gerne gesehen in Deutschland, das Heilerziehungsheim geschlossen, Siegfried Pickert, neben Erbprinz Moritz von Sachsen Altenburg einer der beiden Männer, festgenommen. Doch schon 1946 konnte er bei der britischen Besatzungsmacht den Antrag auf Wiedereröffnung stellen. Eine Walddorfschule startete mit 3 Schülern, den Kindern der Lehrer. Und nun blühte die 330 Hektar große Rudolf- Steiner-Werkgemeinschaft auf. Es folgten die Landwirtschaft, ein Sanatorium, ein Heilpädagogisches Zentrum, ein Kindergarten, ein Hofladen, Betriebe wie eine Kfz-Werkstatt, ein Fahrradladen, eine Käserei, eine Bäckerei, eine Schreinerei, ein Obsthof, eine Imkerei ( vieles zur Kompetenzförderung der Förderschule und des Berufsbildungswerks), ein Verlag, das Altenheim. Schloss Hamborn wächst, immer auch angepasst an gesellschaftliche Erfordernisse.

Dieser magisch anmutende Ort liegt in einer Schleife des Ellerbachs, der nur selten Wasser führt, meist fließt das Wasser unterirdisch, der erstaunlich tiefe Schleifen und damit Hänge in den Kalkstein der Paderborner Hochfläche eingeschnitten hat. 120 Hektar sind Forst und somit wirkt er wie versteckt unter alten Bäumen.

Die Zeichen der Zeit sind auch hier sicht- und hörbar: Er liegt in der Einflugschneise eines Flughafens, eine Autobahn rauscht, Windrad um Windrad dreht sich auf der Hochfläche.

Und doch kommt mir der Ort wie ein großer Freiraum vor.

Das Sanatorium heißt nun Klinik und hat sogar den Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Rehabilitant*innen aufzunehmen, wenn sie das Konzept mögen. Eine Patientin strahlte: „Hier ist alles Holz und Bio.“

Dort trifft man Franz-Xaver Steger. Franz-Xaver Steger, 81 Jahre alt, ist geboren in Tirol, erste Ausbildung als Kaufmann. Als er zwar erfolgreich und in guten Positionen arbeitend mit 33 Jahren erkrankte, „stellte in die anthroposophische Medizin wieder auf die Füße“. Er entschloss sich zu einem Wandel und ergriff den Heilberuf des Sport- und Heilmasseurs und Bademeisters in Österreich. Mit seinen Fragen schickte ihn ein anthroposophischer Arzt zu Margareta Hauschka. Den Grundkurs in Rhythmischer Massage und Bäder bei ihr erlebte er als „ganz neue Berufung bis in das Tiefste in mir selbst hinein“. Er war dann 33 Jahre in verschiedenen Einrichtungen tätig. Nun arbeitet er ehrenamtlich in der Klinik Schloss Hamborn. Sein abendlicher Vortrag zu Anwendungen im Alltag ist legendär. Er organisiert das Kulturprogramm für die Klinik. Und tut noch das ein oder andere, von dem er gar nicht spricht.

Meine Fragen nach Freiraum, die er sich genommen hat auf seinem Lebensweg oder Freiraum, den die Anthroposophie oder Schloss Hamborn ihm ermöglichten, beantwortet er mir mit den Worten:

„Wenn ich höre Freiraum… was ist Freiraum? Ich fasse das so auf: Wenn ich heute in meinem langen Leben zurückschaue. Ich bin ja hereingekommen auf die Erde mit Aufgaben. Und diese Aufgaben habe ich versucht zu füllen mit Übernahme von freien Pflichten. Das ist für mich wirklich Freiheit. Wenn ich etwas übernehme aus einer freien Verpflichtung heraus und das bedeutet für mich Freiheit. Das hat mich die Anthroposophie gelehrt und zum Verständnis gebracht.“

Versteht oder missversteht man nicht gerne Freiraum, dass jeder das macht, was er will. Und würde es der Welt nicht gut tun, wenn wir mit Liebe das tun, was die Verpflichtungen oder die Notwendigkeiten sind?

Die Werkgemeinschaft Schloss Hamborn ist sicher kein Paradies. Doch mir scheint, sie macht vieles richtig im Leben und Arbeiten, Altwerden und Heilen, Lehren und Wirtschaften.


Text in redigierter Form im Lavendelo 19, Freiraum erschienen

www.lavendelo.de







Comments


bottom of page